27-03-2023
#3 - Die Flöte der Hawakani
#3 - Die Flöte der Hawakani
Geschrieben und gesprochen von Heinrich Dickerhoff
Ich will euch eine seltsame Geschichte erzählen, aber zuerst will ich mich kurz vorstellen.
Mein Name ist Jakob Philipp von Hardenberg, ich stamme aus einem so alten wie
weitverzweigten, aber leider nicht sonderlich begütertem norddeutschen Adelsgeschlecht.
Für nachgeborene Söhne, die nicht den Familiensitz erben, gibt es nur drei standesgemäße
Beschäftigungen: das Militär, die preußische Verwaltung oder die kirchliche Laufbahn.
Anders gesagt: Stumpfer Kadavergehorsam, Schreibstuben-Langeweile oder scheinheilige
Frömmelei. Weil ich nichts davon wollte, versuchte ich mich mit wechselndem Erfolg als
Dichter und Schriftsteller. Und nun, am Ende meines langen Lebens angekommen, will ich
ein letztes Werk schreiben, es soll heißen: Das Grauen am Ende der Welt. Und weil hoffe,
dort weitere Inspirationen zu bekommen, habe ich mich noch einmal aufgemacht zu den
Hawakani-Inseln, die wirklich am Ende der Welt liegen und über die ich viel Unheimliches
gelesen hatte.
So schiffte ich mich ein, von Amsterdam nach Philadelphia, von Philadelphia nach Nouvelle
Orleans, von dort nach Vera Cruz in Mexico, dann über Land nach Guadalajara, wo ich ein
Schiff nach San Francisco fand. Dort angekommen war meine Reisekasse fast leer, so suchte
ich eine günstige Unterkunft und fand in der Nähe des Hafens die „Madre de Corazon“, die
Mutter der Herzen. Vor dem Haus steht eine schäbige Marienstatue mit tränendem Herzen,
aber nichts passt weniger zu der Spelunke als diese Figur. In der Madre de Corazon trifft sich
der Bodensatz von San Francisco, Mexikaner und Amerikaner, Engländer, Franzosen,
Spanier, Seeleute ohne Heuer, desertierte Soldaten, schmierige Händler, kleine Gauner,
Glücksritter, Spieler, und natürlich höchst zweifelhafte Damen. Doch das Essen und der Wein
sind akzeptabel, ich bekam eine recht saubere Kammer, das alles zu einem günstigen Preis.
Und so zwielichtig die Mutter der Herzen auch war, ich war dort kaum in Gefahr. Meine
Kleidung und mein Gepäck ließen ganz zu Recht nicht auf Reichtum schließen, mein Alter
schützte mich vor Pöbeleien und Prügeleien, und meine Pistolen, die ich durchaus zu
gebrauchen weiß, trugen auch dazu bei, mir Respekt zu verschaffen.
Während ich auf eine Passage zu den Hawakani-Inseln warten musste, saß ich Abend für
Abend an einem kleinen Tisch in der Ecke der Kneipe und betrachtete das Treiben. Und ab
und zu lud ich eine abenteuerliche Gestalt oder eine verlorene Seele ein, sich zu mir zu setzen,
mir ihre Geschichte zu erzählen und mit mir meinen Weinkrug zu leeren. Fast vier Wochen
war das so, bis ich endlich eine Mitfahrtgelegenheit fand.
An meinem letzten Abend in der Madre de Corazon spielten am Nebentisch vier Männer
Karten. Einer gewann ständig, doch dann wurde er als Falschspieler entlarvt. Die betrogenen
Mitspieler stürzten sich auf ihn, verprügelten ihn, nahmen ihm sein Geld ab und warfen ihn
auf die Straße. Dann machten sich zwei der Mitspieler davon, der dritte aber, ein blasser
magerer Junge, kaum zwanzig Jahre alt, fragte, ob es sich zu mir setzen dürfte, wogegen ich
nichts einzuwenden hatte. Er war noch ganz aufgeregt und erzählte mir ungefragt von seinem
Leben. In England geboren war er nicht ganz freiwillig Schiffsjunge geworden, dann aber bei
einem Aufenthalt auf den Hawakani-Inseln davongelaufen. Zwei Jahre hatte er sich dort
aufgehalten. Ich bat ihn, mir mehr von diesem Ort zu erzählen. „Ach“, sagte er, „da ist nichts
Besonderes. Fromme Spinner wie überall in Amerika. Korrupte Herren, wie überall, wo
England herrscht. Unheimliche und Verrückte, wie überall, wo die Wildnis nah an die
Menschen heranrückt. Nur eins ist dort ungewöhnlich, das ist die Flöte der Hawakini.“
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