Fünf Jahre war Wolftraud de Concini alt, als sie mit ihrer Familie im Juni 1945 ihre »erste Heimat« im nordböhmischen Dorf Radowenz/Radvanice verlassen musste. Sie habe die Vertreibung als ein großes Abenteuer erlebt, erinnert sie sich heute. Denn es gelang ihren Eltern, sie vor traumatisierenden Erfahrungen zu behüten und ihr eine tiefe Liebe zur Region Trautenau/Trutnov zu vermitteln – unabhängig von Nationen, Ethnien oder Grenzen. Als junge Frau verliebte sie sich in Italien und in einen Italiener, mit dem sie sich im Trentino eine neue Heimat schuf. Erst Jahrzehnte später besuchte sie erstmals wieder Böhmen und wanderte die Stationen der Vertreibung ihrer Familie nach. Verbitterung spürte sie keine, stattdessen eine tiefe Verbundenheit mit den heutigen Bewohnerinnen und Bewohnern, ihren »Landsleuten«.
Die Autorin und Fotografin Wolftraud de Concini war Stadtschreiberin des Deutschen Kulturforums östliches Europa in Pilsen/Plzeň, der Kulturhauptstadt Europas 2015, und wird im Mai 2024 mit dem Sudetendeutschen Kulturpreis für Literatur und Publizistik ausgezeichnet. Sie ist die vierte Gesprächspartnerin im Zyklus »Heimaten«. Heimat steht für Geborgenheit, Identität, für bewahrte, aber auch bewusst gebrochene Traditionen, manchmal für eine Utopie, häufig für Nostalgie. Gerade für Menschen, die ihre (erste) Heimat verlassen mussten, kann sie zu einem Sehnsuchtsort werden.
Autorin des Zyklus »Heimaten« ist Renate Zöller, die auch als Redakteurin der Kulturkorrespondenz östliches Europa tätig ist. 2015 publizierte sie den Band »Was ist eigentlich Heimat? Annäherung an ein Gefühl«.
Moderation und Produktion: Renate Zöller und Vera Schneider
Redaktion: Renate Zöller
Musik: Jaspar Libuda