Ist Deutschland sozialistischer als China? Hans van Ess, Präsident der Max Weber Stiftung

New Leadership Podcast

14-04-2021 • 58 Min.

In der 34. Episode des Future of Leadership Podcasts diskutieren Hans van Ess, Präsident der Max Weber Stiftung und Sebastian Morgner über das Erfolgsrezept des chinesischen Wirtschaftsaufschwungs, welche Rolle Europa dabei spielt und welche Aufgaben die Max Weber Stiftung verfolgt. Er erklärt kulturelle und politische Zusammenhänge des Sozialismus und Kapitalismus und offenbart Ähnlichkeiten Chinas mit Deutschland in Hinblick auf die Zukunft.

Wenn man das heutige China mit dem Entwicklungsstand vor 35 Jahren vergleicht, ist das Land kaum mehr wiederzuerkennen. Hans van Ess erinnert sich an die einfachen Lebensverhältnisse, die er noch als Student in Shanghai vorgefunden hat: Es gab weder Brücken zur Überquerung der Flüsse noch Hochhäuser, die heute als Symbol für Modernisierung gelten. Die rasante Veränderung und Weiterentwicklung verdankt China dem Einsatz einzelner Unternehmen und der Investitionen ausländischer Kapitalgeber. Die Chinesen hatten den investierenden Firmen zugesichert, dass das Land ein Milliardenmarkt sei und sich hier problemlos beträchtliche Gewinne realisieren ließen. Heute stellt China das Rückgrat der deutschen Industrie dar. Mit der Kombination von Auslandskapital, das einige Innovationen in der Staatsindustrie auslöste, und dem “Speckgürtel” chinesischer Unternehmen des Mittelstands konnte man das „Chinesische Wirtschaftswunder“ erreichen.
Deutschland profitiert von der engen Symbiose zwischen der deutschen und chinesischen Industrie, jedoch kann die Abhängigkeit vom chinesischen Markt für Deutschland gefährlich werden. Das Interesse an der dortigen Industrie ist noch vorhanden, dennoch stehen politische Interessen im Weg. Zudem ist die Position Deutschlands sehr unangenehm, da man zwischen einem Machtverhältnis der USA und China steht.
Auf die Frage, wie China trotz des kommunistischen Regimes die meisten Milliardäre aufweisen kann, erklärt der Sinologe, dass die Chinesen auf dem Weg in eine kommunistische Gesellschaft eine kapitalistische Phase nach marxistischem Prinzip durchführen. Das Ziel, immer mehr Bürger in den Mittelstand zu bringen, wird nach wie vor verfolgt und es wird nicht als schlimm erachtet, auch Milliardäre in der Bevölkerung zu haben. 1994 wurde dementsprechend der Begriff „sozialistische Marktwirtschaft“ in die chinesische Verfassung aufgenommen. Man ist der Ansicht, dass es dem Wohl des Volkes dient, so lange reich zu werden. In Bezug auf bestimmte Gesetzessituationen in Deutschland würden viele Chinesen diesen als den „besten Sozialismus“ in China betrachten und sehen Deutschland als teilweise sozialistischer als das eigene Land. Das umstrittene Sozialpunktesystem in China entspricht der Logik der Schufa. Mit diesem überprüft man die Kreditwürdigkeit eines Menschen. Das Sozialpunktesystem gilt in China als Referenzrahmen, um beispielsweise Betrug vorzubeugen. Obwohl es eine staatliche Überwachung bedeutet, kommt das System bei der Bevölkerung sehr gut an. Allerdings achtet die chinesische Regierung darauf, international keine Grenze zu Verbotenem zu übertreten.